Sonnenaufgang am Strand


„Nur einen Cocktail an der Bar und dann gehen wir nachhause“, sagte mein bester Freund Bind zu mir.

 

Natürlich blieb es nicht bei diesem einen Cocktail. Die Bar, direkt am Strand von Jesolo, machte das Ambiente einfach zu perfekt, um nur für einen einzigen Cocktail zu verweilen.

 

Schlussendlich hörten wir nach dem fünften Getränk auf zu zählen. Wir wollten den Abend genießen, ohne an etwas Belastendes zu denken.

 

Zu dieser Zeit arbeitete ich als Lehrerin an einer BHS in Wien und hatte ein mega anstrengendes Schuljahr mit vielen Höhen und Tiefen hinter mir, auch was mein Privatleben betraf. Die letzten Wochen vor Schulende sind immer die stressigsten. Man ist ausgepowert, die letzten Prüfungen müssen absolviert werden, Konferenzen stehen an, es gibt Schlussprojekte und – nicht zu vergessen – den organisatorischen Aufwand sowie das korrekte Eintragen der Noten.

 

Gleich in der ersten Ferienwoche beschlossen mein bester Freund und ich nach Jesolo zu fahren – wie die letzten Jahre auch. Jesolo ist für uns mittlerweile schon zu einer fixen Sommerdestination geworden – immer in das gleiche Hotel und in gemütliche Lieblingsrestaurants.

 

Die große Liebe zu Jesolo hat sich bereits in meiner Kindheit entwickelt, denn dort verbrachte ich jeden Sommer mit meinen Eltern einen wunderschönen Urlaub. So unbeschwert und leicht war damals mein Leben. Ich habe viele, viele schöne Erinnerungen, die ich nicht missen möchte. Im Pool unseres Apartmenthotels, Nähe Piazza Torino, habe ich z.B. das Schwimmen gelernt und der fast tägliche Besuch im Luna-Park ist heute noch unvergesslich. Ich trotzte, wenn wir nicht hingingen. Meine Vorliebe für die italienische Sprache offenbarte sich schon früh, indem ich Leuten aufmerksam zuhörte und versuchte, die Sprachmelodie nachzumachen.

 

Die Heimfahrt ins kalte, „meerlose“ Waldviertel – in meiner Kindesvorstellung empfand ich dies damals so – war jedes Mal ein riesiges Drama, begleitet mit vielen Tränen beim Abschiednehmen von Jesolo. Mit verweinten Augen sagte ich als 5-jähriges Mäderl zu meinem Vater: „Ich werde einmal einen Italiener heiraten, damit ich für immer hierbleiben kann.“ 

 

Während meiner Studienzeit hatte ich auch 2 Fernbeziehungen mit Italienern, zu einer Heirat ist es jedoch nicht gekommen. Ich bin mit meinen Ex-Freunden noch immer in Kontakt und freundschaftlich verbunden.

 

Aber nun zurück zur Strandbar. Ich liebe es dort einfach. Die Musik und die Stimmung sind top. Man blickt gleich direkt auf das Meer hinaus, die Cocktails schmecken super und man kann die Sorgen des Alltags loslassen. Wir lernten einige Leute aus Treviso kennen und feierten ausgelassen den Abend mit ihnen.

 

Als ich auf die Uhr sah, war es fast 3 Uhr. Es war unser erster Tag in Jesolo und wir waren müde von der Autofahrt, also beschlossen wir den Heimweg ins Hotel anzutreten. Dort angekommen, verweilten Bind und ich noch am Balkon und ließen den Abend Revue passieren.

 

Bind und ich sind mittlerweile schon fast 10 Jahre lang befreundet. Ich habe einige Macken und es ist nicht immer leicht, meine Stimmungsschwankungen, welche Bind schon viele Male ausgesetzt war, auszuhalten. Die letzten Jahre hatte ich mehr Tiefen als Höhen, doch Bind stand immer zu mir, egal wie unerträglich ich auch an manchen Tagen war. Kein Mensch auf dieser Welt kennt mich besser als er. An den grauesten Tagen meines Lebens war Bind immer für mich da. Nie werde ich vergessen, als er, ohne eine Sekunde lang zu zögern, für mich nach Mailand fuhr, um mich aus einer schwierigen Situation, die ich selbst verschuldet hatte, zu retten. An dieser Stelle möchte ich GRAZIE sagen – Grazie di tutto, Bind. Sei il mio mitico amico (einer unserer zahlreichen Insider).

 

An dieser Stelle muss ich feststellen, dass sich dieser Artikel anders entwickelt hat als geplant. Keine Sorge, ich komme jetzt zu meinem absoluten Highlight unseres Jesolo-Urlaubes, und zwar zu einem magischen Sonnenaufgang am Strand.

 

Als wir auf unserem Hotelbalkon saßen und über Gott und die Welt redeten, merkten wir, dass sich der dunkle Nachhimmel allmählich lichtete. Bind meinte, dass es an der Zeit sei, schlafen zu gehen. Doch mir kam urplötzlich eine Idee: „Gehen wir doch an den Strand, um gemeinsam den Sonnenaufgang zu betrachten. Immerhin haben wir nicht jeden Tag die Möglichkeit dazu.“ 

 

„Super, das wollte ich schon immer mal machen“, sagte Bind spontan.

 

Und schon waren wir unterwegs in Richtung Strand. Einige Meter nach unserem Hotel blieb Bind plötzlich stehen und meinte: „Lass uns doch unsere Badesachen holen, das wäre tooooop!“

Gesagt getan – wir eilten zurück zum Hotel und schnappten schnell unsere Badebekleidung und Handtücher.

Endlich am Strand angekommen.

 

Wir gingen zu unserem Lieblingssteg direkt am Meer. Hier zu sitzen ist für mich jedes Mal Entspannung pur.

 

Ich schloss meine Augen für einen Moment und hörte dem gleichmäßigen Rauschen des Meeres zu. Ich nahm einen tiefen Atemzug, die salzige Brise tat mir gut und machte mich munter. Ich fühlte mich frei – so frei wie schon lange nicht mehr. 

 

Als ich meine Augen wieder öffnete, färbte sich der Himmel vor mir in ein zartes Rosa, welches dem Meer einen türkisfarbenen Schimmer verlieh.  Spätestens ab diesem Moment hatte ich alle meine Sorgen und Probleme vergessen. Ich fühlte mich glücklich und verspürte eine Art inneren, tiefen Frieden. 

 

Ein für mich ungewöhnliches Gefühl – ein Gefühl, als könnte mir nichts und niemand auf der Welt etwas anhaben. 

Foto: Raffaela Breit
Foto: Raffaela Breit

Ich wurde durch ein kühles Nass an den Füßen aus meiner Gedankenwelt gerissen. Diese Welle wollte wohl von den anderen herausstechen und höher als alle anderen sein. Bind kam ein kleiner Lacher aus, er hatte mich wohl beobachtet und war von meinem erschrockenen Gesichtsausdruck, als mich die Welle an den Füßen streifte, amüsiert.

 

Bind und ich sprachen eine Weile nichts, aber das war auch nicht notwendig – trotzdem fühlten wir uns verbunden, denn wir bewunderten beide das Naturschauspiel, welches uns der Himmel und das Meer bot.

 

Nach und nach setzte sich das Rosa gegen den noch von der Nacht dunkelblau gefärbten Himmel durch und das Meer begann immer mehr zu strahlen.

 

Am Steg neben uns ließ sich ein Fischer nieder und in der Ferne konnte ich zwei Nachtschwärmer oder gar Frühaufsteher mit einem Hund erkennen. Ansonsten war der Strand vollkommen „leer“.

 

Ich hatte nur mein Strandkleid an und merkte, dass mir etwas kalt war und so wickelte ich mich fest in meine dicke Stranddecke. Schon bald fühlte ich die wohlige Wärme. Jetzt war der Moment perfekt.

 

Foto: Raffaela Breit
Foto: Raffaela Breit

Am Steg tummelten sich kleine Krabben – vermutlich die optimale Umgebung für sie.

 

Nachdem ich eine Weile von den Krabben abgelenkt gewesen war, richtete sich mein Blick wieder auf den Horizont. Der Himmel leuchtete jetzt in einem kräftigen Rosa.

 

Vom Farbenspiel des Himmels fasziniert, bemerkte ich gar nicht, dass Bind bereits am Strand stand und bereit für das morgendliche Baden im Meer war. 

 

„Komm her!“, rief er mir zu.

 

„Ich komme gleich, ich möchte noch bisschen den Himmel betrachten“, rief ich.

 

Schön langsam setzte sich ein helloranger Ton am Horizont durch und das oberste Stück der Sonne war erkennbar. Wie eine Göttin erhob sie sich triumphierend aus dem Meer, nichts konnte sie mehr zurückhalten.

 

Ich konnte auch schon ein wenig die wärmende Kraft spüren und legte meine Stranddecke beiseite. 

 

Bind war schon in die „Tiefen“ der Adria eingetaucht und ließ sich am Rücken gemütlich von den Wellen tragen. Zeit für mich, dass ich nachkam. 

 

Uff! Das Meer war um diese Uhrzeit noch ziemlich frisch. Nach 10 Minuten schwamm auch ich mit Bind herum. 

 

Die Sonne zeigte sich bereits komplett und verwandelte das Wasser in ein Feuermeer. Es schien, als würde das Meer glutrot brennen. So etwas Magisches hatte ich noch nie gesehen. Zu den Orangetönen mischte sich nun ein kräftiges Rot. 

 

Einfach nur atemberaubend! Ich muss sagen, das war einer meiner schönsten Italienmomente. Es sind Momente, die dich berühren und an die du dich bis an dein Lebensende erinnerst.

Foto: Raffaela Breit
Foto: Raffaela Breit